03.12.2022: Wirkungsloser Ölpreisdeckel (Tageszeitung junge Welt)

2022-12-08 11:59:46 By : Ms. Jena Chen

Das Handelsblatt berichtete am Donnerstag erregt, dass die EU-Kommission und der Ministerrat sich auf einen Preisdeckel von 60 US-Dollar je Barrel (159 Liter) für russisches Rohöl geeinigt hätten. Der Preisdeckel soll am kommenden Montag in Kraft treten. Die Verhandlungen zwischen den 27 EU-Staaten über die Höhe der Preisobergrenze hatten sich hingezogen. Noch vor einer Woche sollte sie bei 65 US-Dollar liegen. Der nächste Schritt waren 62 US-Dollar. Aber die typischen Scharfmacher gegen Russland setzten sich mit ihrer Forderung durch, Russland beim Export seines wichtigsten Rohstoffs zumindest auf dem Papier den größtmöglichen Schaden zuzufügen.

Ein Preisdeckel für russisches Öl war im Frühjahr als Alternative zu einem totalen Ölembargo entwickelt worden. Die US-Regierung war dafür, so dass der Plan beim G7-Treffen (der westlichen großen Industrieländer) im Juni verabschiedet werden konnte. Die Einzelheiten wurden der EU überlassen, deren Brüsseler Kommission sich brav an die Arbeit machte. So wurde beschlossen, die neue Regel über eine Kontrolle der Versicherer von Tankschiffen zu organisieren. Diplomaten und Spitzenpolitiker wurden dazu bewegt, andere Nationen außerhalb des Westens, etwa Indien oder China, zu einer Befolgung dieser differenzierten Sanktion zu bewegen. Zusagen erhielt man von dieser Seite nicht. Auch das G20-Treffen auf Bali war in dieser Beziehung nicht ergiebig.

Rohöl ist im vergangenen Halbjahr ohnehin billiger geworden. Im März, kurz nach den Sanktionsbeschlüssen gegen Russland, kostete ein Barrel der Nordseesorte Brent an der Londoner Börse noch 120 US-Dollar. Am Donnerstag abend waren es nur noch knapp 87 US-Dollar. Der gemächliche Preisverfall hat nichts mit dem geplanten Preisdeckel für russisches Öl, sondern mit der weltweiten Wirtschaftsabschwächung und der Erwartung einer kommenden Rezession in den USA und in Europa zu tun – was wiederum weitgehend Folge des Wirtschaftskriegs gegen Russland und der damit weiter hochschießenden Inflation ist. Die Regierungen der 27 EU-Staaten wollen erklärtermaßen Russland maximal schädigen, dabei aber nicht einen rasanten Wiederanstieg des Rohölpreises riskieren. Letzteres wäre die Folge, wenn, wie im März im Überschwang der Strafaktionen für Russland auch erwogen, der Ölexport aus Russland zu größeren Teilen tatsächlich gestoppt würde. So kam man auf die grandiose Idee, eine Preisdifferenzierung vorzunehmen, den bösen Lieferanten zu bestrafen, ohne die Liefermenge insgesamt zu reduzieren.

Die gute Nachricht dabei ist, dass beides zusammen nicht funktionieren wird. Erstens entspricht der beschlossene Preisdeckel von 60 US-Dollar je Barrel weitgehend den Preisen des jetzt aus Russland an neue Großabnehmer wie Indien und China gelieferten Öls. Diese Abschläge sind deshalb auch so hoch, weil Russland Interesse daran hatte, die eigenen Lager zu leeren. Zweitens sind die Preissanktionen leicht zu umgehen und dank verschiedener Ausnahmen ziemlich löchrig. Drittens besteht für die Länder außerhalb der G7 kein Anreiz, sich dem Preisdeckel anzuschließen. Viertens werden die anderen Ölexportländer alles tun, um ein Öleinkäuferkartell zu verhindern. Sie haben schon gezeigt, dass sie einen Lieferausfall Russlands nicht ausgleichen werden.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main

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