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2022-12-08 12:03:50 By : Ms. Michelle Peng

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Lauterbach bei der Vorstellung der Krankenhausreform

Lauterbach bei der Vorstellung der Krankenhausreform

Lauterbach bei der Vorstellung der Krankenhausreform

Gesundheitsminister Lauterbach will ein Übel der Krankenhausfinanzierung beenden: Die Leistungsorientierung. Das könnte kleinen Landkrankenhäusern entgegenkommen. Einige Fragen bleiben aber offen.

"Lossen‘s mi mol auf‘d Lunga hiehorcha", sagt der Arzt Willibald Prügl in breitem Niederbayerisch. Im Bett vor ihm liegt der 71-jährige Egon Anetzeder. Ein Lungenleiden macht ihm zu schaffen. Das Kortison habe geholfen, sagt Anetzeder, "do is scho besser worn". "Müss mer aber schaun, dass mer wieder außa kimma", wegen der Nebenwirkungen, entgegnet Prügl, der ärztliche Leiter des Krankenhauses Wegscheid östlich von Passau, nahe der Grenze zu Österreich.

Arzt und Patient sprechen hier eine Sprache. Ein Riesenvorteil, von dem, was Politiker als "wohnortnahe Versorgung auf dem Land" bezeichnen. Wegscheid ist allerdings eines von vielen kleinen Krankenhäusern in Deutschland, die seit Jahren rote Zahlen schreiben und deshalb potenziell von Schließung bedroht sind.

Wenn es das Krankenhaus Wegscheid nicht gäbe, müssten Patienten 35 Kilometer zum nächsten fahren, sagt Prügl und zeigt nach draußen. In der Nacht hat es geschneit. Er erwartet, dass heute ältere Menschen mit Knochenbrüchen eingeliefert werden. Ohne das Krankenhaus müssten die Leute bei schlechtem Wetter "teilweise stundenlang fahren". 2.800 Notfälle versorgt Wegscheid im Jahr, 3.000 Patientinnen und Patienten auch stationär. Kein Problem für das Krankenhaus.

Das Problem ist ein wirtschaftliches. Unter anderem weil nach Fallpauschale abgerechnet wird. Es gibt einen einmaligen Betrag für die Diagnose eines Patienten. Liegt der Patient länger als geplant im Krankenhaus, zahlt das Krankenhaus drauf. Das heißt im Umkehrschluss: Je mehr Behandlungen in kurzer Zeit mit möglichst wenig Personalaufwand durchgeführt werden, desto wirtschaftlicher lässt sich ein Krankenhaus betreiben. Das setzt alle Krankenhäuser unter wirtschaftlichen Druck. Für das kleine Krankenhaus Wegscheid in einer dünn besiedelten Region ist die rein auf Leistung bezogene Abrechnung noch schwieriger.

In Berlin geht es an diesem Vormittag genau um dieses Thema. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von nicht weniger als einer "Revolution". Gemeint sind die Vorschläge der Regierungskommission zur Zukunft der deutschen Krankenhäuser. Ein Ergebnis aus Lauterbachs Sicht: "Die Menschen können sich darauf verlassen, dass die Krankenhäuser, die wirklich gebraucht werden, zum Beispiel in den ländlichen Gebieten und unterversorgten Stadtteilen, auch überleben können, ohne dass sie immer mehr Fälle behandeln müssen", erklärt der Minister.

Kommission und Bundesgesundheitsminister sind sich einig: Die Fallpauschalen sollen nicht mehr das einzige Finanzierungsinstrument für die Krankenhäuser sein. Stattdessen sollen sogenannte Vorhalteleistungen eine größere Rolle spielen. Die Kliniken bekommen dabei auch dann Geld, wenn sie zum Beispiel Personal und Technik vorhalten, ohne sie einzusetzen. Ähnlich wie bei der Feuerwehr, die auch nicht nur für gefahrene Einsätze bezahlt wird. Die Krankenhäuser, so will es die Kommission, sollen sich zukünftig zwischen 40 und 60 Prozent über Vorhaltebudgets finanzieren. Mehr sei laut Kommissionsmitglied Professor Christian Karagiannidis nicht drin, weil sonst die Wirtschaftlichkeit verloren gehe.

Außerdem schlägt die Kommission vor, Krankenhäuser in drei Stufen einzuordnen. Die Häuser der ersten Stufe sollen eine medizinische und pflegerische Grundversorgung anbieten. Das sind einfachere chirurgische Eingriffe und Notfälle. Besonders wichtig ist den Experten und dem Bundesgesundheitsminister zu betonen: Sie sollen wohnortnah verfügbar sein. Stufe zwei bietet Regel- und Schwerpunktversorgung an. In die dritte Stufe fallen auch Unikliniken, die eine Maximalversorgung in quasi allen medizinischen Bereichen anbieten können.

Den Bereich Qualität will die Kommission durch definierte Leistungsangebote stärken. Das heißt: Vor allem die großen Krankenhäuser sollen nur noch Angebote abrechnen dürfen, auf die sie auch spezialisiert sind. Das sei bisher im breiten Bereich innere Medizin nicht der Fall gewesen. Krankenhausabteilungen, die dafür gar nicht ausgestattet sind, hätten unterschiedlichste Eingriffe abgerechnet, sagen die Experten.

Das Geld für diese Reform scheint vorhanden. Darauf weist der Koordinator der Regierungskommission, Professor Tom Bschor hin: Deutschland gibt mit über 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im europäischen Vergleich viel für das Gesundheitswesen aus. Es habe auch überdurchschnittlich viel medizinisches Personal. Dieser Vorsprung wird aber durch die derzeitigen Fallpauschalen aufgezehrt, sagt Bschor: Deutschland habe 50 Prozent mehr Krankenhausbetten und 50 Prozent mehr Krankenhausbehandlungen als die europäischen Nachbarn. "Die Krankenhausversorgung wird kollabieren mit katastrophalen Konsequenzen, wenn wir jetzt nicht grundlegend reformieren", so Bschor.

Die Experten betonen, dass ihre Vorschläge ohne politische Einflussnahme und ohne den Einfluss von Verbänden und Lobbygruppen zustande gekommen seien. Fünf Jahre seien für Umsetzung der neuen Krankenhausfinanzierung zu rechnen. Lauterbach erklärt, er wolle diese Vorschläge nun in ein Gesetz übernehmen. Allerdings muss das Gesetz auch durch Bundestag und Bundesrat. Änderungen sind dabei erfahrungsgemäß programmiert.

Wie die Kommissionsvorschläge am Ende aussehen werden und was sie dann für das Krankenhaus im niederbayerischen Wegscheid bedeuten, wird sich also erst zeigen. Auch wenn das Krankenhaus zur Grundversorgung erhalten bleiben könnte, bleibt eine weitere entscheidende Frage bisher offen: Welche Eingriffe wird das kleine Krankenhaus in Zukunft überhaupt noch durchführen? Und wann müssen Patienten doch die Reise zum nächstgrößeren Krankenhaus antreten?

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