Krankenhausreform: Lauterbach will jede vierte stationäre Behandlung...

2022-12-08 12:09:56 By : Mr. Hunter Huang

Berlin – Krankenhäuser sollen schon ab Januar alle dafür geeigneten Behandlungen als Tagesbehandlung durchführen dürfen. Das plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), nachdem die von ihm ein­gesetzte Krankenhauskommission eine entsprechende Empfehlung erarbeitet hat. Die Vergütung soll über eine Anpassung des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG) geregelt werden.

Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesetzte „Regierungskommission für eine mo­derne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ plädiert für einen großen Sprung in der Ambulantisie­rung.

„Das ist ein gewisser Paradigmenwechsel, ein Gamechanger“, erklärte ihr Vorsitzender, Tom Bschor, heute in Berlin. Die Kommission schätze, dass durch die vorgeschlagenen Neuerungen bis zu 25 Prozent aller Behand­lungen, die heute vollständig stationär erbracht werden, ambulantisiert werden könnten.

„Wir sprechen über ein ganz zentrales Problem der deutschen Krankenhausversorgung“, erklärte Lauterbach. Es gebe in Deutschland viel zu viele Betten und viel zu viele stationäre Behandlungen. Angesichts des Fach­kräftemangels in der Pflege gebe es keine Kapazitäten mehr, um dieses ineffiziente System zu bedienen. „Die Situation ist dramatisch“, warnte auch Bschor.

Eine Verringerung der Übernachtungen könne zudem erheblich dazu beitragen, mittels geringerer Belegun­gen auch die Attraktivität des Pflegeberufs zu erhöhen – schließlich würden dann spürbar weniger Dienste in Randzeiten notwendig. „Nacht- und Wochenenddienste gelten als die am meisten belastenden. Sie sind fami­lienfeindlich und gegen den Biorhythmus“, sagte Bschor.

Deshalb soll es Krankenhäusern bereits ab dem 1. Januar 2023 gestattet werden, sämtliche bislang vollsta­ti­o­när erbrachten Behandlungen als Tagesbehandlungen durchzuführen – soweit das medizinisch vertretbar ist. Aufgrund des erheblichen medizinischen Fortschritts, der insbesondere die Patientensicherheit erhöht, sei das bei immer mehr Untersuchungen, Eingriffen und Behandlungen der Fall.

Diese Tagesbehandlungen sollen sich auch über mehrere Tage erstrecken können, wobei eine zwischenzeitli­che Unterbrechung für maximal zwei Tage am Stück – zum Beispiel durch ein Wochenende – mehrfach mög­lich ist. Für die Durchführung einer stationären Behandlung als Tagesbehandlung soll die vorherige Zustim­mung der Patienten notwendig sein.

Dass eine Tagesbehandlung für zahlreiche große, komplexe oder risikoreiche Behandlungen nicht in Betracht kommt, sei evident. Diese Behandlungen würden deshalb nicht gesondert ausgewiesen, sondern es liege in der Verantwortung der Krankenhäuser, im Einzelfall zu entscheiden, ob sich eine Behandlung als Tagesbe­hand­lung eignet.

„Diese Entscheidungskompetenz bewegt sich im Rahmen von Entscheidungen, die Krankenhäuser auch jetzt schon täglich nach medizinischen und pflegerischen Kriterien treffen, zum Beispiel über die Frage einer Auf­nahme oder Entlassung einer Person“, schreibt die Kommission dazu in ihrem Papier. „Für eine sachgerechte Entscheidung zu einer Tagesbehandlung haftet das Krankenhaus im üblichen Rahmen.“

Gleichzeitig sollen die Krankenhäuser dafür Sorge tragen, dass sie die Tagesbehandlung bei einer notfallmä­ßi­­gen Behandlung oder bei einem ungünstigen Verlauf unmittelbar in eine Behandlung über Nacht umwan­deln können. Gentrennte räumliche Bereiche für Tagesbehandlungen sollen nicht notwendig sein, sie sollen in allen Teilen des Krankenhauses ermöglicht werden.

Vergütet werden sollen die Tagesbehandlungen nach dem DRG-System, allerdings mit einer Sonderberech­nung: Für die nicht anfallenden Übernachtungskosten soll das Relativgewicht (Bewertungsrelation) der DRG pauschal um 0,04 pro entfallender Nacht gemindert werden.

„Die Abrechnung wird einfach und schnell umsetzbar sein“, kündigte Bschor an. Eine Minderung um 0,04 ent­spreche bei einem durchschnittlichen Fall 140 bis 150 Euro. Das seien gerade einmal Hotelkosten, betonte er.

Bei einer viertägigen Tagesbehandlung – was drei Nächten entspricht – würde die Vergütung also um 0,12 oder 420 bis 450 Euro gemindert. Bei eintägiger Behandlung erfolgt wie bei zweitägiger Behandlung ein Ab­zug von 0,04. Dieser Abzugsbetrag soll normativ pauschal festgesetzt werden und nicht unterschiedlich für die verschiedenen DRG sein. Die rund 24 expliziten Ein-Tages-DRG, die es bereits gibt, sollen wie bisher ver­gütet werden.

Dabei dürfen dem Vorschlag nach nur Tage abgerechnet werden, an denen der Patient mindestens sechs Stunden im Krankenhaus war und wenn in dieser Zeit überwiegend medizinische oder pflegerische Maßnah­men durchgeführt wurden. Tage mit kürzerer Anwesenheit sollen nicht als Tagesbehandlung vergütet werden, sondern als ambulante Behandlung abgerechnet werden müssen.

Wird ein Patient innerhalb desselben Behandlungsfalls sowohl mit als auch ohne Übernachtung behandelt, soll nur für die Tage ohne Übernachtung der Abzugsbetrag in Ansatz gebracht werden, wobei sich die Abzugs­beträge bei mehrtägigen Tagesbehandlungen addieren. Die Höhe des Abzugs soll auf maximal 30 Prozent der DRG gedeckelt werden, auch wenn die Tagesbehandlung über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird.

Von den neuen Regeln ausgeschlossen werden soll das Fach Psychiatrie, in dem Tageskliniken bereits flä­chen­deckend etabliert sind und das nicht nach DRG abrechnet. In anderen Fächern bereits existierende Ta­ges­kliniken sollen erhalten bleiben und wie bisher vergütet werden. Sie können demnach keine Tagesbe­handlungen abrechnen.

Auch eintägige Tagesbehandlungen von notfallmäßig – also ohne Einweisung – aufgenommenen Patienten sollen nicht möglich sein. So will die Kommission verhindern, dass Notaufnahmebehandlungen umgewidmet werden. Allerdings soll für mehrstündig in Notaufnahmen behandelte Patienten zusätzlich zur bisherigen Ver­gütung ein nach der Betreuungsdauer gestaffelter Betreuungszuschlag gewährt werden.

Die Kommission empfiehlt dazu eine Staffelung nach drei, vier und mehr als sechs Stunden, wobei für eine Notaufnahmebehandlung von mehr als sechs Stunden ein Betreuungszuschlag von 400 Euro angemessen sei. Die Vergütungsproblematik will die Kommission in Kürze noch einmal im Rahmen einer Stellungnahme zur Notfallversorgung aufgreifen, kündigt sie an.

Generell solle kein Zwang zur Tagesbehandlung stehen. Auch der Medizinische Dienst dürfe bei Prüfungen nicht auf die Frage abzielen, ob ein Krankenhausaufenthalt auch ohne Übernachtung hätte durchgeführt wer­den können. „Es gibt auch Patienten, die sagen, sie haben Angst zuhause, sie trauen sich das nicht zu. Das muss berücksichtigt werden“, sagte Bschor.

Die Kommission setzt vielmehr auf Freiwilligkeit: „Die Ausgestaltung muss so sein, dass es für die Kranken­häuser einen Anreiz gibt, die Neuerungen umzusetzen“, erklärte Bschor. So müssten die eingesparten Kosten größer sein als der Abzug von der Vergütung.

Auch müsste die Belastung des Personals merklich sinken, weil sich in verschiedenen Berufsgruppen Nacht- und Wochenenddienste verringern. Durch das freiwerdende Personal könne beispielsweise der Patienten-/ Personalschlüssel verbessert werden.

Außerdem würden Räume frei, die anderweitig zur Verfügung stehen, wenn Stationen ganz oder teilweise nicht mehr vollstationär, sondern nur noch für Tagesbehandlungen genutzt werden.

Krankenhaus und Kostenträger sollen unverändert ein Budget vereinbaren, das Begrenzungen der Leistungen sowie der Gesamtvergütung enthält. Bereits vereinbarte Budgets seien dann weiterhin gültig.

Die Möglichkeit der Tagesbehandlung dürfe nicht zu einer Leistungsausweitung durch das Krankenhaus füh­ren – nur Leistungen, die bislang stationär durchgeführt wurden und für die die Infrastruktur eines Kranken­hauses erforderlich ist, sollen als Tagesbehandlung erbracht werden dürfen.

Lauterbach zeigte sich sicher, dass es bis Jahresende machbar ist, die geplanten Regelungen mittels eines eigenen Gesetzes zu verwirklichen. „Wir überlegen uns parallel schon, wie man das umsetzen kann und sind schon in der Vorbereitung einer entsprechenden Regelung“, erklärte er.

An seiner Einschätzung, dass es sich um ein Erfolgsmodell handelt, ließ Lauterbach keine Zweifel aufkommen. „Das ist ein System, bei dem ich sehr sicher bin, dass es sich durchsetzen wird.“ Schließlich werde es in Europa bereits fast überall so gehandhabt. Man habe nicht gänzlich Neues ersonnen, das sich erst in der Realität be­währen müsste.

Eine zweite Reformstufe soll folgen, in der die Ambulantisierung noch weiter vorangetrieben wird, indem die Vertragsärzte stärker eingebunden werden. Hier werde geprüft, inwieweit geeignete DRG im Sinne von Hy­brid-DRG auch für die Erbringung im vertragsärztlichen Bereich geöffnet werden können. Einen festen Zeit­plan gebe es dafür aber noch nicht, betonte Lauterbach: „Die zweite Reformstufe ist noch nicht in Vorbe­rei­tung.“

Bschor erklärte, erst einmal sollten die Neuerungen der ersten Reformstufe über ein Jahr beobachtet und dann evaluiert werden. Dann habe man eine gute Grundlage, um Behandlungen zu identifizieren, die in die vertragsärztliche Versorgung ausgelagert werden können, und zu definieren, welche Qualitätsanforderungen Vertragsärzte für die Erbringung welcher Tagesbehandlungen erfüllen müssen. „Und dann wird auch noch ein intensiver Dialog mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nötig sein“, kündigte er an.

Die Erfahrungen aus der ersten Reformstufe sollen dabei genutzt werden, um zu prüfen, welche Behandlun­gen beziehungsweise DRG dafür in Betracht kommen und welche Qualitätsanforderungen Leistungserbringer aus dem vertragsärztlichen Bereich für die Erbringung welcher Tagesbehandlungen erfüllen müssen. Die Ver­gütung für Tagesbehandlung soll dann in identischer Höhe erfolgen – unabhängig davon, ob die Leistung durch das Krankenhaus oder Vertragsärzte erbracht wurde.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht in dem Vorschlag wieder einmal eine vertane Chance, eine echte Reform anzustoßen. „Statt einer aktiven Gestaltung neuer Versorgungsformen gemeinsam mit den Niedergelassenen, baut man Jägerzäunchen – zum Nachteil von Patienten und Beitragszahlern“, kritisierte der Vorstandsvorsitzende, Andreas Gassen, die Vorschläge der Regierungskommission.

Eine Marktbereinigung werde sich durch ein derartiges Vorgehen im Übrigen nicht aufhalten lassen. „Das, was die Regierungskommission nun vorlegt, ist der perspektivisch zum Scheitern verurteilte Versuch einer Besitzstandswahrung“, sagte Gassen.

Die Bundesärztekammer (BÄK) warnte davor, dass die Tagesbehandlung von Klinikbetreibern dazu missbraucht werden könnte, Personalengpässe auszugleichen oder den Profit zu steigern. „Hier darf es einzig und allein um das Wohl und die Sicherheit des Patienten gehen. Ebenso ist bei der Umsetzung darauf zu achten, dass kein Wettbewerb um medizinische Leistungen zwischen den Krankenhäusern und hochspezialisierten Fachärzten entsteht“, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Positiv sei hingegen, dass die Empfehlung zur Tagesbehandlung im Krankenhaus das Klinikpersonal entlaste, weil die effektive Betreuungszeit verkürzt werde. © lau/aerzteblatt.de

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