Nach dem Fall. Steffi Marth erzählt von ihrer Verletzung nach der 4X-DM - MTB-News.de

2022-12-08 12:10:00 By : Ms. vicky xu

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„Ein Sturz zu Boden bedeutet noch lange nicht, dass man schon ganz unten ist.“ Steffi Marth gewährt uns mit emotionalen Worten einen tiefen Einblick in die Zeit nach ihrem Sturz bei der deutschen 4X Meisterschaft. Dort hatte sie sich mehrere Frakturen an der Hand zugezogen und mit einem langen Heilungsprozess kämpfen. Das Wort hat Steffi.

E in guter Tag auf dem Bike ist, wenn einem am Ende nicht das Trikot vom Körper geschnitten wird. Das leuchtet erst richtig ein, wenn man nachts hellwach und unter quälenden, starken Schmerzen im Krankenhausbett liegt. Hier der Zeitraffer für einen schlimmen Sturz: Ein Fahrer schmettert ungebremst auf den Boden; sofort rasen die Schmerzen in seinen Körper mit der Gewissheit, dass etwas kaputt gegangen sein muss. Er wird in die Notaufnahme gebracht, bekommt ein paar Nägel und Schrauben in die Knochen gerammt und leidet Tage oder Wochen unter einer unaufhörlich lästigen, unangenehmen Allgemeinverfassung.

Dann absolviert er eine anstrengende Reha und sitzt früher oder später wieder auf dem Bike. Wenn´s gut läuft! Was für eine leidige Routine. Gerade in diesem Jahr erreichten uns außergewöhnlich viele schreckliche Meldungen aus dem Zweiradler-Lazarett. Wir schauen uns die schmerzhaften Neuigkeiten mit makaberem Interesse an. Als Abschreckung, welche uns letztendlich doch nicht genug abschreckt. Keiner will das am eigenen Leib erleben, aber als Außenstehender scheint man abzuhärten.

Mir ist es ein wenig peinlich. Und damit meine ich nicht, dass ich derzeit zur erlesenen Gruppe der Abschreckungs-Mountainbiker gehöre. Sondern: ich habe an die Organisation ‚Road2Recovery’ gespendet. Zum ersten Mal. Die Horror-Geschichten der BMXer Scotty Cranmer und Sam Willoughby ließen mir einfach keine Ruhe. Zu lebhaft kann ich mir ihre Situation jetzt vorstellen.

Ich musste etwas lernen: Ein Sturz zu Boden bedeutet noch lange nicht, dass man schon ganz unten ist. Leider gehört er zum Mountainbiken wie der Bruchpilot ins Krankenhaus. Und genau dort fängt die Talfahrt erst richtig an: Fast jeder eingefleischte Biker kann lebhaft von kleineren und größeren Fehlmanövern und den daraus resultierenden Verletzungen berichten. Ich habe in den letzten fünf Monaten seit dem schlimmsten Tag meiner Sportlerkarriere viel Zeit zum Grübeln gehabt und dabei ein wenig zwischen den Gute Besserungs-Zeilen gelesen.

Bei Namen wie Martin Söderström, Myriam Nicole und Matti Lehikoinen läuft es mir eiskalt den Rücken herunter; ich sehe Horrorszenarien mit Schrauben, Nägel und Blut vor mir. Manche Fahrer scheinen so richtig vom folgenschweren Sturzpech geplagt zu sein. Verletzungen füllen zwischen erfolgreichen Wettkämpfen einen großen Teil ihrer Karriere aus. Die Neuigkeiten der gefallenen Fahrer im Downhill-Weltcup hängen sinnbildlich direkt neben den Ergebnislisten. Aber darüber, was in der Abwesenheitszeit dieser Fahrer in ihrem Leben passiert, habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Nie machen müssen. Denn wer will sich schon mit dem Leid anderer auseinandersetzen?

„Gute Besserung“ stand in den meisten Nachrichten und Karten, die mich kurz nach meinem Sturz erreicht haben. In Wirklichkeit ist der Unfall noch nicht einmal der eigentliche Tiefpunkt und demnach gibt es auch noch keine Besserung. Der Graph zwischen Wohlergehen, Fahrspaß, Erfolg auf der vertikalen und Zeit auf der horizontalen Seite, fällt nach einem heftigen Sturz stetig ab. Neben Operationen und Schmerzen setzt vor allem der mentale Krieg mit einem selbst ein.

Steffi war kurz vor ihrem Sturz in Verbier und hat dieses schöne Video produziert.

In meinem Kopf drehte sich Alles um Fragen wie: Warum musste ich zu diesem Rennen fahren? Warum bin ich gerade im Finale zu kurz gesprungen? Ich hätte an der Proline vorbei fahren können und wäre trotzdem Deutsche Meisterin geworden. Werde ich je wieder so biken können wie vorher? Was, wenn ich meine Hand nie wieder richtig bewegen kann? Wie verdiene ich jetzt mein Geld? Fragen über Fragen und keine zufriedenstellenden Antworten. Ein kaum auszuhaltender Status.

Erst einige Zeit später fängt dann die eigentliche Besserung an. Bei mir sind das jetzt schon fast fünf Monate. Mein Blick in die Bike-Garage ist wehmütig. Inzwischen habe ich sieben Handchirurgen konsultiert, wurde dreimal operiert und habe vier Wochen stationäre Reha gemacht. Die Physio- und Ergotherapie-Stunden habe ich nicht zählen können. Oft bin ich bis ins 500 km entfernte München gefahren, weil ich mit der Behandlung in meiner Umgebung nicht zufrieden war.

In meiner perfekten Welt kam es mir immer so vor, als wären die gerade noch schwer Gestürzten wie durch ein Wunder wenige Wochen später wieder auf dem Siegertreppchen zu finden. Jetzt weiß ich, dass sie in dem Fall echt Glück hatten. Außerdem eine gute Versicherung und top Ärzte sowie Therapeuten. Ich bin selbst zum Spezialisten meiner Verletzung geworden und das ist wohl die wichtigste Erkenntnis aus dem ganzen Dilemma. Wenn man sich verletzt, steht man von einer Sekunde auf die andere alleine da. Wenn es ganz beschissen läuft, wird man im lokalen Krankenhaus am Unfallort direkt schlecht operiert. Als ich mir die schockierende Geschichte von Pavel Alekhin, The Mental Key (auf redbull.com), angeschaut habe, kam mir einiges bekannt vor.

Wenn er Monate später keine Hilfe bekommen hätte, wäre jetzt sein Bein amputiert. Nach meiner ersten OP schickte ich ein Handyfoto vom Röntgenbild zu einem Arzt, der mich früher schon einmal operiert hat. Er war etwas unzufrieden und riet mir, das Ergebnis der OP sofort checken zu lassen. Ein CT hielten die Ärzte vor Ort jedoch nicht für nötig. Kurz vor Entlassung aus dem Krankenhaus wurde ich dann doch ins CT geschoben und prompt lag ich wieder unterm Messer, weil eine Schraube zu lang war und in mein Handgelenk gepikst hat. Neben den Frakturen am Handgelenk, Kahnbein und Humerus war leider auch mein Ulnarisnerv beschädigt. Darum hatte sich zunächst kein Arzt richtig gekümmert, weil die Knochenbrüche Vorrang hatten.

Letztendlich wurde ich vier Monate nach dem Sturz auch an diesem Nerv operiert. Die Chancen auf vollständige Heilung sind jetzt enorm gestiegen. Glücklicherweise hatte ich die richtigen Ärzte gefunden und einen guten Therapieweg gewählt. Man muss sich schon richtig ins Zeug legen, um eine individuell angepasste Behandlung zu bekommen. Ich habe sehr viel gelesen, Gespräche mit bekannten Ärzten sowie Therapeuten geführt und mich mit ähnlich Verletzten ausgetauscht. Die Heilung ist ein anstrengender Vollzeit-Job. Nicht mal zu Studienzeiten habe ich so viel Kopierpapier verbraucht. Befunde, Röntgenbilder und Briefe an Krankenkasse, Versicherungen und Co. machen inzwischen sogar meinen Drucker krank.

Inzwischen trainiere ich schon seit einigen Wochen wieder und es geht von Tag zu Tag besser. Die Sehnsucht nach den wunderschönen Tagen in dem Bergen ist größer denn je. Das ist eine massive Motivation und ein wichtiger Treibstoff der Heilungsmaschine. Ich werde wohl noch eine ganze Weile mit den Folgen dieser Millisekunden-Fehlentscheidung zu kämpfen haben, aber auch daraus habe ich etwas gelernt. Mountainbikes können auch mal zubeißen und deswegen sollte man stets mit Vernunft geimpft sein.

Der Mittelweg ist schmal – zwischen zu wenig und zu viel Respekt vor der Sturzgefahr. Manche Dinge können einfach nicht vorsichtig gemacht werden. Man ist sicherer, wenn man selbstbewusst fährt. Schliesslich gibt es kein schöneres Gefühl, als gesund zu sein. Zusätzlich auch noch seinem Hobby und der Leidenschaft nachgehen zu können ist das Sahnehäubchen. Im Moment plane ich, ab März wieder aufs Bike zu können. Da passt der Lieblingsspruch meiner Physiotherapeutin ganz gut: „Damit das Mögliche entsteht, muss immer das Unmögliche versucht werden.“ (Hermann Hesse).

Danke an alle, die mich bei der Heilung unterstützt haben!

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