Sanierungskonzept: Dieser Plan soll das Krankenhaus Spremberg retten – kma Online

2022-12-08 12:00:42 By : Ms. Cathleen Chen

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Für das stark angeschlagene Krankenhaus Spremberg steht das Sanierungskonzept. Die Stadt wird ihre Gesellschaftsanteile auf 80 Prozent erhöhen und den Klinikbetrieb für zwei Jahre finanzieren. Der Förderverein, der bislang das Sagen hat, soll die restlichen 20 Prozent behalten.

Modell für andere? Das Krankenhaus Spremberg wird derzeit in Eigenverwaltung saniert.

Dr. Mark Boddenberg ist Generalhandlungsbevollmächtigter im Spremberger Schutzschirm-Verfahren.

Dem Ficus in seinem Büro auf Zeit soll es gutgehen. „Sammle bitte die trockenen Blätter auf. Gib ihm Wasser“, mahnt Dr. Mark Boddenberg die Kollegin im Video-Telefonat. Auch wenn er gerade nicht selbst in Spremberg ist – die raumhohe Pflanze liegt ihm am Herzen, wie das gesamte Krankenhaus in dem brandenburgischen Städtchen im Landkreis Spree-Neiße südlich von Cottbus.

Insolvenzexperte Boddenberg hat schon viele Kliniken in Deutschland saniert. Bei der Kanzlei Eckert Rechtsanwälte, für die er arbeitet, summieren sie sich mittlerweile auf 56. Die Probleme, die im Krankenhaus Spremberg zum finanziellen Kollaps geführt haben, gleichen denen, die zurzeit viele Häuser existenziell bedrohen – Erlöseinbrüche durch die Pandemie bei gleichzeitig steigenden Personal- und Materialkosten, Inflation, Energiekrise. Und doch ist das 216-Betten-Haus kurz vor der polnischen Grenze in vielerlei Hinsicht anders als Boddenbergs bisherige Fälle.

In Spremberg hatten bislang die Beschäftigten das Sagen. Ein Förderverein, in dem mehr als 90 Prozent der insgesamt gut 300 Mitarbeitenden Mitglieder sind, ist Mehrheitsgesellschafter der Spremberger Krankenhaus GmbH. Er hält 51 Prozent, die übrigen Anteile liegen bei der Stadt. Und dem kleinen Grund- und Regelversorger ging es lange gut damit.

Vom vielerorts beklagten Investitionsrückstau ist hier kaum etwas zu spüren, das Haus genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, und auch die Bilanz stimmte. Gemeinsam war man relativ sparsam und arbeitete weitestgehend kostendeckend. Das kleine Haus hielt sich vergleichsweise gut am Markt. Und insbesondere der Förderverein sorgt für eine starke Verbundenheit der Belegschaft mit „ihrem Krankenhaus“. Die ist so stark, dass die Beschäftigten für einen höheren Personalschlüssel seit Jahren einen Vertrag akzeptieren, der ihnen deutlich geringere Löhne und Gehälter beschert als andernorts gezahlt werden.

Mittlerweile hat sich die Lage jedoch gewandelt und ist so ernst, dass Mark Boddenberg im Haus ist. Von seinem Büro im Verwaltungstrakt des Bettenhauses schaut er direkt auf die Feuerwache gegenüber, auf den Schlauchturm mit der Sirene auf dem Dach. Auch in der Klinik, die bislang jährlich rund 4000 Patienten stationär betreute, war es höchste Zeit für Alarm. Spätestens im Dezember hätten die Löhne und Gehälter nicht mehr überwiesen werden können, die Zahlungsunfähigkeit drohte. Für das laufende Jahr zeichnet sich ein Defizit von rund fünf Millionen Euro ab.

Die Spremberger Krankenhaus GmbH wurde 1869 als städtisches Krankenhaus in Betrieb genommen und besteht aus den Abteilungen Innere Medizin, Gynäkologie, Chirurgie, Anästhesie und Notfallmedizin sowie Psychiatrie. Träger sind heute der 1997 gegründete Förderverein Krankenhaus Spremberg e. V. (51 Prozent) sowie die Stadt Spremberg. Die Klinik hat (auf tagesklinischer sowie vollstationärer Ebene) insgesamt 216 Betten und beschäftigt mehr als 300 Mitarbeitende. Neben dem Krankenhaus verantwortet die Spremberger Krankenhaus GmbH drei Psychiatrische Tageskliniken in Spremberg, Guben und Forst, den Betriebskindergarten, das Medizinische Versorgungszentrum Poliklinik Spremberg GmbH (MVZ) sowie die Klinik-Verpflegungs- und Service-Gesellschaft mbH (KVS).

Deshalb erlebt das Haus seit dem 12. September ein Planinsolvenzverfahren. „Genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Boddenberg, „so können wir noch etwas bewegen.“ Unter dem Schutzschirmverfahren wird die Klinik in Eigenverwaltung saniert, Boddenberg hält als Generalhandlungsbevollmächtigter die Zügel in der Hand. Der Klinikbetrieb läuft derweil normal weiter. Die Löhne und Gehälter der Beschäftigten wurden während des vorläufigen Verfahrens durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert, seit dem 1. Dezember 2022, seit das Hauptverfahren läuft, zahlt wieder die Krankenhausgesellschaft.

Es steht ein großer Umbau bevor, und wir betreten in Teilen Neuland.

In den vergangenen Wochen haben Boddenberg und ein Team des Münchener Beratungsunternehmens WMC Healthcare ein Konzept für die Zukunft des Standortes erarbeitet. War bei der Eröffnung des Verfahrens noch vorgesehen, sich ausschließlich auf die in der Stadt historisch starke Psychiatrie zu beschränken und die stationäre somatische Grundversorgung komplett aufzugeben, soll das Angebot jetzt vergleichsweise breit bleiben. Allerdings stellt das dafür geschnürte Paket in Spremberg so ziemlich alles auf den Kopf. „Es steht ein großer Umbau bevor, und wir betreten in Teilen Neuland“, sagt Boddenberg: „Aber das haben auch alle verstanden. Alle waren bereit und offen, etwas zu ändern.“

Mit „alle“ meint er nicht nur die Beschäftigten und damit die Hauptgesellschafter. Die Sanierer haben mit allen Beteiligten gesprochen, den Gläubigern, den Krankenkassen und möglichen Kooperationspartnern, mit den Kommunalpolitikern in Spremberg um die parteilose Bürgermeisterin Christine Herntier sowie mit der brandenburgischen Landespolitik und den Ministerien in Potsdam. Alle hätten Unterstützung signalisiert, sagt Boddenberg. Mittlerweile steht fest, dass das Haus rekommunalisiert wird, denn Boddenbergs Plan kostet Geld – eine Millionensumme, die der Förderverein nicht hat. Auch die Stadt könnte bei den bisherigen Mehrheitsverhältnissen nichts zuschießen – das lässt das Kommunalrecht nicht zu.

Am 7. Dezember haben die Spremberger Stadtverordneten einstimmig beschlossen, den Weiterbetrieb und Umbau der Klinik in den kommenden zwei Jahren mit insgesamt bis zu vier Millionen Euro zu finanzieren. Dafür stockt die Stadt ihre Anteile von 49 auf 80 Prozent auf, der Förderverein bleibt mit den übrigen 20 Prozent Gesellschafter.

Um die Notfallmedizin und die Basisversorgung am Standort erhalten zu können, wird die klassische stationäre Behandlung in ambulant-stationäre Versorgungsangebote überführt.

Mit dem Geld der neuen Mehrheitsgesellschafterin soll für die Somatik in Spremberg in den nächsten zwei Jahren ein ambulant-stationäres Gesundheitszentrum entstehen, erklärt Dr. Sören Jensen von WMC:  „Um die Notfallmedizin und die Basisversorgung am Standort erhalten zu können, wird die klassische stationäre Behandlung in ambulant-stationäre Versorgungsangebote überführt.“ Für das Krankenhaus in seiner bisherigen Form sehen die Planer auch wegen des lokalen Versorgungscharakters mit sehr geringen Fallmengen und der Wettbewerbssituation in der Region ohnehin keinen essenziellen Bedarf mehr. Stattdessen ist Ambulantisierung auch in Spremberg das Zauberwort. Das Konzept für die Zukunft fußt auf vier Säulen und soll ab dem 1. Februar 2023 sukzessive umgesetzt werden.

Die künftige Notaufnahme soll nach dem Modell der Integrierten Notfallzentren (INZ) organisiert werden und für Kurzlieger Bettenkapazitäten bereithalten. Dazu soll eine von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) finanzierte Bereitschaftspraxis mit einem niedergelassenen Arzt integriert werden. Ein gemeinsamer Tresen weist die Patienten zu. Schwere beziehungsweise spezialisierte Fälle werden wie schon bisher mit dem Rettungsdienst in größere Kliniken transportiert, insbesondere ins knapp 25 Kilometer entfernte Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus (CTK).

Der Anspruch ist, auf dem Campus alles zur Grund- und Regelversorgung anzubieten.

Für die Diagnostik steht – Säule zwei – ein Diagnostikzentrum bereit, das die bisherige Infrastruktur des Krankenhauses nutzt und auch Operationssäle umfasst. Um das Zentrum über die Notfallmedizin hinaus auszulasten, setzt das Konzept als Säule drei auf die ambulante Versorgung. Dazu wird das 2014 eröffnete Medizinische Versorgungszentrum Poliklinik Spremberg (MVZ) ausgebaut. „Es umfasst derzeit acht Arztsitze und ist gut ausgelastet“, sagt Jensen. Für die Zukunft wird mit weiteren KV-Sitzen geplant.

„Der Anspruch ist, auf dem Campus alles zur Grund- und Regelversorgung anzubieten“, erklärt Jensen, zudem gebe es ausreichend Platz für mehr Fachdisziplinen als bisher. Das Konzept sieht vor, weitere Arztsitze zu kaufen, Niedergelassene könnten sich jedoch auch einmieten. Für beide Varianten gebe es bereits Anfragen, sagt Jensen. In ihrem Konzept haben die Planer bis zu zwei Bettenstationen vorgesehen, in denen Patienten einschließlich Operierte bis zu fünf Tage lang rund um die Uhr betreut werden können.

Als vierte Säule sind weitere Versorgungsangebote angedacht, die über den klassischen ersten Gesundheitsmarkt hinausgehen können. Sie sollen in der bisherigen Infrastruktur, die künftig nicht mehr gebraucht wird, Räume bekommen. Neben Pflege- und Reha-Einrichtungen samt Ergo-, Logo- und Physiotherapie denkt Jensen beispielsweise auch an eine Apotheke und ein Sanitätshaus – ob unter der Regie des Krankenhauses oder durch externe Mieter, beides sei möglich.

Parallel zum künftigen Gesundheitszentrum halten die Planer an der bewährten Psychiatrie fest. „Da sehen wir auch noch höheren Versorgungsbedarf“, sagt Jensen. Das stationäre Angebot bleibe und werde weiter ausgebaut – etwa im Bereich der Geronto- sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dazu sind regionale Versorgungsnetzwerke und Kooperationen angestrebt.

Mark Boddenberg hat die Kosten für all das exakt durchgerechnet, immer mit dem Worst Case, in dem in Sachen Vergütung alles so bleibt wie bislang. Dieser Fall ist die Basis für eine Zwei-Jahres-Planung und damit gleichzeitig eine spannende Wette auf die Zukunft. Mit der Vier-Millionen-Euro-Spritze, mit der die Stadt Spremberg den Radikalumbau ermöglicht und das absehbare Defizit ausgleicht, kauft sie sich zwei Jahre Zeit. 24 Monate, in denen die Bundespolitik womöglich eine ebenso grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung beschließt.

Wir sind gespannt, wo die Reise hingehen wird.

Die Beschäftigten sind nach dem Schockmoment im September mittlerweile offenbar zuversichtlich. Die Stimmung sei gut, sagt Doreen Peter, die Betriebsratsvorsitzende. Zwei Tage zuvor ist Tobias Grundmann als neuer Geschäftsführer vorgestellt worden, „und wir sind gespannt, wo die Reise hingehen wird“, sagt Peter, selbst gelernte Krankenschwester: „Am wichtigsten ist, dass wir weiterbestehen.“

Medizinökonom Grundmann ist von Baden-Württemberg in die Lausitz gewechselt und hat dort am 1. Dezember die Nachfolge von Liane Pötsch übernommen. Die vergangenen fünf Jahre war Grundmann für den Klinikkonzern Helios tätig, zuletzt als Geschäftsführer der Helios Klinik Rottweil. In Spremberg verantwortet er jetzt die Sanierung, am Tag seines Amtsantritts hat für das Krankenhaus auch das Hauptverfahren begonnen.

Doreen Peter ist seit 2013 im Haus, „natürlich selbstverständlich“ Mitglied im Förderverein und arbeitet mittlerweile im Medizincontrolling. Die Verbundenheit der Belegschaft zu der Klinik sei weiter stark. Kaum jemand sei gegangen – „die Zahl der Kündigungen ist immens gering“. Einige junge Ärzte etwa sahen für sich keine Perspektive und wollten nicht abwarten, ob sich das neue Konzept bewährt. Die große Mehrheit steht zu dem Haus – wie Dr. Gunter Voskamp.

Er habe nie daran gedacht, die Klinik zu verlassen, sagt der Chefarzt der Inneren Medizin, dabei habe er seit Verkündung der Planinsolvenz diverse Angebote bekommen. Wie ernst die Lage wirklich ist, haben ihm in den vergangenen Monaten erst die schonungslosen Präsentationen der Berater vor Augen geführt. Sie gaben dem Haus bei einer Fortführung im Status Quo keine Überlebenschance: „Wir mussten erkennen, dass sich das, was wir machen, die normale Grundversorgung, in unserem System nicht lohnt“, sagt Voskamp.

Trotzdem will er in Spremberg weitermachen. Der Gastroenterologe und Rheumatologe ist neben seinen Klinikaufgaben auch bereits im MVZ aktiv und will dem neuen Konzept eine Chance geben. Auch wenn ihn der konsequente Schwenk ins Ambulante noch nicht ganz überzeugt hat. „Dieser Trend birgt ja auch durchaus Risiken für die Behandlung“, sagt Voskamp. Und wie sich das im selten planbaren Alltag der Rettungsstelle dann umsetzen lässt – das kann er sich jetzt noch nicht vorstellen. Auch Doreen Peter ist skeptisch. Es müsse sich erst einmal zeigen, für welche Patienten die ambulante Behandlung funktioniere – gerade bei den vielen Älteren in der Region, erklärt die Betriebsratsvorsitzende. Fühlen sie sich gut aufgehoben? Werden sie zufrieden sein und wiederkommen? „Es ist eine spannende Phase“, sagt Peter.

Die Mitarbeitenden für die neuen Pläne zu gewinnen, war für Mark Boddenberg zunächst nicht leicht. Zudem ist mit dem Förderverein ein Akteur beteiligt, der den Fall komplizierter macht. „Dass gewissermaßen jeder im Haus Gesellschafter ist, habe ich so noch nicht erlebt“, erinnert sich Boddenberg an seinen Start in Spremberg. Er hat sich das Vertrauen mit Offenheit erarbeitet, war im Haus präsent, hat nachgefragt, zugehört und erklärt. Alle 14 Tage gingen Sanierungs-Mailings raus, und regelmäßig finden Mitarbeiterversammlungen statt. „Das war gut“, sagt Doreen Peter. Seit dem 12. September seien die Informationen geflossen, „und wir waren immer auf dem aktuellen Stand“.

Die Verbundenheit der Belegschaft zu ihrem Haus hat Boddenberg geholfen. Sie ist ein großes Pfund für die Klinik. Das gilt es zu nutzen. Deshalb bleibt der Förderverein auch erhalten und als Minderheitsgesellschafter weiter am Unternehmen beteiligt. Boddenberg jedenfalls lobt den bisherigen Schulterschluss, und er tut alles, damit die Arbeitsplätze auch in der neuen Struktur erhalten bleiben.

Wenn das Konzept hier nicht funktioniert, werden viele kleine Krankenhäuser in Deutschland scheitern.

In den kommenden zwei Jahren muss sich zeigen, ob das Gesundheitszentrum, das die Berater für Spremberg entworfen haben, zukunftsfähig ist. „Wenn das Konzept hier nicht funktioniert, werden viele kleine Krankenhäuser in Deutschland scheitern“, ist WMC-Mann Jensen überzeugt. Geht der Plan der Sanierer allerdings auf, könnte das Spremberg-Rezept vielerorts für ähnliche Lösungsmodelle Pate stehen. Entsprechend groß ist das Interesse an der Entwicklung in der Lausitz. Mark Boddenberg hat unterdessen bereits das nächste Büro auf Zeit bezogen. Bei den Katholischen Nord-Kreis Kliniken Linnich und Jülich (KNK) in Nordrhein-Westfalen ist er ebenfalls als Generalhandlungsbevollmächtigter eingesetzt. Der Ficus in Spremberg muss bald allein klarkommen.

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